Bergfinken Anklettern 2022

„Steh’n auf dem Gipfel im Sonnenschein, von gleichen Gedanken durchglüht.“

So beginnt der Bergfinkenspruch, auf den das Bergfinkenlied traditionell folgt, wenn sich der Chor beim Auftritt stolz vorstellen will. Am 7. Mai hat er das vor den Augen und Ohren einer besonders großen Anzahl von Menschen getan.

Denn wir, eine Schar von Bergfinken, sind für das erste gemeinsame Klettern und Singen zum
Atariastein aufgebrochen und wurden dort vom MDR beobachtet. Die
Rundfunkanstalt möchte besondere Chöre in einem Bericht vorstel-
len. Das Besondere unseres über 100-jährigen Bergsteiger-Chores
ist wohl, dass Klettern und Singen für die Mitglieder nicht nur zu-
sammengehören. Vielmehr wollen wir es auch gern am gleichen Ort
ausführen, sodass „vom Gipfel ein Berglied erklingt, das wie Glock-
entöne durch die Täler […] dringt.“. So besingen wir es mit dem
Bergfinkenlied gern.
Doch diesen Moment habe ich noch vor mir. Ich bin nun seit
zwei Jahren Mitglied im Chor. Ich bin nur einmal zum Klettern mitge-
gangen und habe plötzlich viele Ausreden im Kopf, die begründen
sollen, doch lieber am Fuße des Felsen zu bleiben. Dort schaue ich
zunächst zu, wie einige Vorsteiger auf verschiedenen Wegen Seile in
den Fels legen. Ich sehe wie ein Bergfink nach dem anderen an der
Wand erscheint. Dann taucht unser Uli mit seinen 88 Jahren oben in
30 Meter Höhe aus dem Kamin auf und stellt locker sein weißes
Hemd in den Wind. Hmm, das gibt mit zu denken. Dann folgt ir-
gendwann ein Kameramann mit seinem Gerät und schwingt sich vor
der Gipfelkante seitwärts, wo er eine Aufnahme „im Seil“ beginnt.
Später sieht man ein fröhliches Treiben auf dem Gipfel, der von den
vielen blauen Bergfinken-Sportshirts betüpfelt ist. Nur ein Sänger ist
noch zurück geblieben — ich.
Als ich einen Gurt angeboten bekomme, fasse ich mir ein
Herz und lasse mich anknoten. Nun bin ich im Kamin und es geht
eigentlich ganz gut. Ich habe Halt, bekomme Zuspruch und finde
sichere Tritte und Griffe. Die Aufregung ist viel schlimmer als die An-
strengung. Und darum puste ich trotzdem schwer. Als ich mit Er-
leichterung oben ankomme, ist der Gipfel so voll, dass ich gleich an
der Kante sitzen muss. Durch die Beine der anderen balancieren,
kann ich mit den weichen Knien nicht. Also setze ich mich und stüt-
ze mich dort fest mit den Füßen ab und halte mich mit den Händen
fest. Ich schaue mich vorsichtig um. Jede Bewegung muss ich ge-
nau steuern. Denn die Angst abzurutschen, ist noch nicht verflogen.
Dieses Gefühl wird sich nach einigen Liedern ändern, was ich zu
diesem Zeitpunkt noch nicht weiß.
Beim Umschauen entdecke ich auf dem Fels gegenüber noch
einen Mann mit Fernsehkamera und ein anderer hält ein riesiges Mi-
krofon. Langsam geht mein Blick über den Wald in die Weite. Da
heute das Wetter sonnig und der Himmel blau und fast ohne Wolken
ist, beginne ich mich zu freuen. Solch eine Aussicht, rundum frei und
weit, habe ich in der Sächsischen Schweiz noch nicht erlebt. Fast
noch ein bisschen ungläubig schaue ich am Fels hinab und erkenne
meine Höhe. Und nun ist die Zeit gekommen, die Berglieder zu sin-
gen. „Ein Danklied den Bergen, […] nach gelungener Tat.“, erinnert
uns das Bergfinkenlied zum Abschluss.