Halleluja! Endlich singen die Bergfinken wieder
Die Weihnachtskonzerte 2022 des Dresdner Bergsteigerchors lassen Sorgen vergessen
Am 2. und 3. Dezember 2022 gaben die „Bergfinken“, der Chor des Sächsischen Bergsteigerbundes, nunmehr zum 47. Mal drei nahezu ausverkaufte Weihnachtskonzerte in der Dresdner Annenkirche. Das ausgewogene Programm ließ die Sorgen schwieriger Zeiten für einen Moment vergessen. Von Urs Moesenfechtel
Hallelujah, hallelujah! So schallt es Anfang Dezember 2022 nunmehr zum 47. Mal von der Empore der Dresdner Annenkirche. Befreit singen die 75 Sänger ihre Freude heraus: Endlich ist die lange Wartezeit vorbei! Endlich finden wieder Weihnachtskonzerte statt! Der älteste deutsche Bergsteigerchor, die Bergfinken aus Dresden, singen: Für die Familie, für Freunde, Bekannte und viele, viele neue Gesichter. Das laut tönende „Hallelujah!“ stammt aus Wagners Stücks „Pilgerchor“. In dem Lied kehrt ein Wanderer nach beschwerlicher Reise in seine Heimat zurück – und dankt dafür Gott. Ja, beschwerlich und „verrückt“ war und ist das Jahr 2022 – doch alle Plagen und Mühen sind in dem Moment vergessen, als die Bergfinken ihre zweite Heimat, die Bühne, betreten.
Zahlreiche Besucherinnen und Besucher genießen Konzerte
Als die Weihnachtkonzerte Anfang des Jahres geplant werden, ist noch nicht absehbar, ob sie überhaupt stattfinden können. Wird Corona die Durchführung der Konzerte erschweren oder unmöglich machen? Die Kirche kalt bleiben? Trotz vieler offener Fragen probt der Chor mit seinen Chorleitern Ulrich Schlögel und Max Röber sowie dem Stimmbildner Gerd Reichard das ganze Jahr über weiter. Mit Lebensfreude und Optimismus haben sie den „Gipfel“, den Höhepunkt zum Jahresende, fest im Blick. Und dort angekommen werden sie wie beim Klettern mit einer fulminanten Aussicht belohnt: Das Parkett und die Ränge der Kirche sind voll. Das Publikum ist ihnen über die lange Durstrecke hinweg treu geblieben. Insgesamt über 1550 Besucherinnen und Besucher genießen die drei Vorstellungen.
Gelungene Mischung aus Bekanntem und Neuem
Gleich mit dem ersten Lied „Guten Abend, schön‘ Abend, es weihnachtet schon“ wird deutlich, dass die diesjährigen Weihnachtskonzerte nicht den üblichen Auftritten entsprechen. Der Chor stimmt das erste Lied zusammen mit dem Publikum an. Und auch während der Aufführungen werden weitere Lieder miteinander gesungen. So wird aus dem allseits gewohnten „Vortrag von Liedern“ ein ungewohnter „Vertrag mit Liedern“, der da lautet: Ob die Konzerte glücken, ob sie ein Fest werden, hängt von uns allen ab, die wir gerade hier sind. Nicht nur die zum Anfang gesungenen, bekannten Klassiker „Die Sonne sinkt“, „Bergweihnacht“ und „Sonderzug“ erfüllen dann auch diese unausgesprochene gegenseitige Vereinbarung: Publikum und Chor treten gemeinsam in die Bilderwelt ruhiger Wälder, friedvoller Berge und märchenhafter Winterfreuden ein – und lassen ihre Schönheit für diesen Moment in der Kirche Wirklichkeit werden.
Festliche Stimmung durch Hörner und Orgel
Diese Stimmung setzt sich fort und wendet sich ins Festliche, als das Dresdner Hornquartett unter der Leitung von Andreas Roth auftritt. Sie spielen den „1. Satz Horn-Quartetts in B-Dur des Opus 28“ von Constantin Homilius und die „Suite 3: Padouan-Intrada“ von Paul Peuerl. Sogleich erfüllen sowohl warm-kräftige wie auch hell-klare Hornklänge den gesamten Kirchenraum. Sie schaffen einen feierlichen Rahmen für den vorläufigen Höhepunkt des Programms: Der Chor schreitet entlang des Publikums auf die Empore zur Orgel, die der Kantor Günter Seidel spielt. Das von dort oben inbrünstig vorgetragene „Hallelujah“ lässt alle Sorgen für einen Moment vergessen und verbreitet die Zuversicht, dass besser Zeiten kommen werden. Die drängende Bitte danach wird dann durch die darauffolgenden, hochaktuellen Lieder „O Herr, gib‘ Frieden“ und „Ich bete an die Macht der Liebe“ nochmals verstärkt. Sie stammen von dem ukrainisch-russischen Komponisten Dimitri Bortnianski, der im 18. und 19. Jahrhundert die Entwicklung der deutschen Kirchenmusik stark beeinflusst hatte.
Überraschung mit zwei Ave-Maria-Interpretationen
Sicher: Das Repertoire der Bergfinken besteht hauptsächlich aus Bergsteiger-, Kletter- und Wanderliedern. Beschreibungen der Natur, die Sehnsucht nach Abenteuern, die Liebe zur Freiheit, dem Draußen-Sein und der sächsischen Heimat stehen immer im Mittelpunkt. Doch das thematische Interesse und auch sängerische Können ist weitaus größer. Das stellt der Chor nicht erst bei den diesjährigen Weihnachtskonzerten unter Beweis. So überraschen sie das Publikum mit gleich zwei Ave-Maria-Interpretationen. Bei der Motette für drei Solisten und einem vierstimmigen Chor des Chormusikers Franz Biebl ist der sich überlagernde, dialogische Gesang eine Herausforderung. Und doch wird er mit Bravour gemeistert. Die langsame, getragene Vortragsweise des Stückes verströmt eine ruhige, friedliche Atmosphäre. Ebenso tut dies das nicht minder schwere Klage- und Bitt-Lied aus der Feder Karl Mays.
Winnetou-Dichter Karl May ist auch mit dabei
“Karl May? DER Karl May? Ja, sie haben richtig gehört; UNSER Karl May“. So kündigt die Moderatorin Mandy Partsch, den mehrstimmigen Satz des Dichters an. Dass er ein Ave-Maria verfasst hat in dem er nicht stolzen Mut in wilder Prärie beschreibt, sondern die innere Verzweiflung und das Flehen um Erlösung, haben viele sicherlich nicht erwartet. Doch was Viele nicht wissen: Karl May war nicht nur der Schöpfer der Winnetou-Geschichten, sondern eben auch Komponist und Multiinstrumentalist. Mit solchen und weiteren Hintergründen zu den Liedern, führt Frau Partsch charmant durch den Abend. Hinzu kommen scherzhafte Verweise auf das Wirken und Wesen des zwar über 100 Jahre alten, aber nach wie vor jungen Chors. „Die Bergfinken halten sich schließlich mit Bergsport fit und gehören zur Unterfamilie der ‚Edelfinken'“ lässt die Moderatorin das Publikum wissen und leitet mit dem Vortrag kleiner Gedichte schließlich zum letzten Programmteil der Konzerte über: Weihnachten!
Welt ging verloren – Christ ward geboren
Mit „Süßer die Glocken nie klingen“, “Oh du Fröhliche“, „Zu Bethlehem geboren“ und dem „Gesang“ an die Freude“ stellt es sich schließlich vollends ein: das Vor-Weihnachts-Gefühl. Aber nicht das Gefühl der Rastlosigkeit, sondern das der erwartungsvollen Fröhlichkeit – und Ruhe, die sich nicht nur auf die Wälder senkt, wie es im Titel der Konzerte heißt, sondern auch auf die Seele. Zusammen singen gegen Ende alle gemeinsam „Welt ging verloren“ doch „Christ ward geboren“, „ist erschienen, uns zu versühnen“. Diese Worte lassen die Sorgen ob schwieriger Zeiten kurz vergessen und spenden Kraft und Mut für bessere Zeiten. Die gelungenen Konzerte klingen schließlich mit dem klassischen Bergfinkenlied „O du stille Zeit, kommst eh‘ wir’s gedacht, über die Berge weit, über die Berge weit, gute Nacht!“ aus.
Ein Dank an alle Mitwirkenden
An der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Weihnachtskonzerte waren über 80 Personen beteiligt. Alle einzeln zu nennen ist schier unmöglich. Doch ein besonderer Dank gilt, zusätzlich zu den bereits Genannten, Hendrik Meyer, der sich um die Tonabnahme kümmerte sowie Marvin Schönfeld, der für ein stimmungsvolles Licht sorgte. Auch ohne die Bühnenbauer aus den Reihen der Bergfinken wäre das Konzert nicht möglich gewesen. Ein weiterer ganz herzlicher Dank gilt der Pfarrerin und der Gemeinde der Annenkirche, die den Bergfinken ihre Türen geöffnet haben.