Chronik

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Wandern, Bergsteigen und Singen…

… gehören schon seit langem zusammen, das eine ergänzt das andere. Singen ist Ausdruck des Naturerlebens beim Wandern und Bergsteigen. In den Dresdner Bergsteigerklubs, die sich hauptsächlich kurz nach der Jahrhundertwende bildeten, war auch das Singen ein Bestandteil des Klublebens.

Gesungen wurde in den Klubsitzungen, in den Bahnhofshallen, in den Zügen, während der Überfahrt über die Elbe, in den Gasthäusern und selbstverständlich auf den Gipfeln. Hatte man in den Klubs festgestellt, dass besonders gute Stimmen vorhanden waren, wurde begonnen vierstimmig zu singen. Gab es keinen, der Klavier spielen konnte, hielt man sich einen Liedermeister und es wurde in einigen Klubs ganz Erstaunliches geleistet.

Walter Fritsche, Klaus Reuter, Heinz Grabitzki

1920 -1933

Es bestanden in den 1920er Jahren drei große Bergsteigerorganisationen. Beim Arbeitersport waren es die „Naturfreunde“, auf bürgerlicher Seite die Sektionen des „Alpenvereins“ und dazwischen stand die Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das Bergsteigen im sächsischen Felsengebirge zu fördern. Dieser „Sächsische Bergsteiger-Bund“ (SBB), dem fast alle Kletterclubs angehörten, hielt es für notwendig, auch den Gesang zu pflegen und gründete am 30.8.1920 die Gesangsabteilung, kurz die „Gesa“ genannt. Es war also das Verdienst des SBB, den Grundstein zu den später berühmt gewordenen Bergsteigerchören gelegt zu haben. Da dieser Gesangsabteilung die erfahrenen Clubquartette beitraten, war schon zu Beginn ein guter Kern vorhanden. Ob die „Gesa“ schon als reiner Männerchor bzw. Männergesangsverein vorgedacht oder nur dem Umstand der mangelnden Frauenbeteiligung zuzuschreiben war, lässt sich nicht mehr ermitteln.

Es war zunächst schwer, einen Chormeister zu finden. Keiner traute sich so recht an diesen unbekannten Faktor heran und die Chorleiter wechselten kurzfristig. Es waren meist Lehrer; als erster Ludwig, dann Hermann. Ausgesprochene Bergsteigerlieder gab es nur etwa vier und diese wurden einstimmig gesungen. Kein Chormeister hätte sich getraut, diese Lieder für Männerchor zu bearbeiten. So wurden vor allem Volkslieder, Wald- und Jagdlieder und natürlich Lieder aus den Alpenländern gesungen. Anschließend (etwa 1923) übernahm der bekannte Chormeister vom „Musikverein Nord“ Edgar Großmann die Gesangsabteilung, der den erwarteten Um- und Aufschwung brachte. Nun konnten auch erste Konzerte gegeben werden. In dieser Zeit wurde die Gesangsabteilung Mitglied des „Deutschen Sängerbundes“.

1927 übernahm der Musikpädagoge Kurt Kämpfe die singende Schar von Bergsteigern. Er begann mit den Sängern eine systematische Stimm- und Chorklangschulung. Seinem Geschmack, Temperament und entwickeltem Einfühlungsvermögen war es zu verdanken, dass die Gesangsabteilung bald zu einem einmaligen Klangkörper mit unverwechselbarem Genre wurde, der in und außerhalb Dresdens die Aufmerksamkeit auf sich zog. Unter anderem wurden gesungen: „Die Alpen“ von Hegar, „Hochamt im Walde“ von Becker, „Allmacht“ und „Gesang der Geister über den Wassern“ von Schubert. Einen durchschlagenden Erfolg hatte der Chor mit der „Frithjof-Sage“. Schon 1928 begann Kurt Kämpfe, vorhandene einstimmige Berglieder zu bearbeiten. Die Lieder „Früh wenn die ersten Hähne krähn“ und „Was uns beim fröhlichen Wagen“ waren die ersten. Auch entstanden die ersten eigenen Kompositionen: „Gipfelsieg“, „Hoch und höher sollst du steigen“, „Zeltnacht“. Nach und nach schuf Kurt Kämpfe mit eigenen Kompositionen, Bearbeitungen und Textdichtungen die Grundlage zu einem eigenständigen Bergliedgut des sächsischen Raumes, das heute nach über 60 Jahren an künstlerischer Aussage und Ausstrahlung nichts eingebüßt hat und das von Partnerchören in und um Dresden übernommen wurde. Wertvolle Impulse zu dieser Entwicklung gab der spätere Vorsitzende der Gesangsabteilung, Walter Fritsche, als Inspirator und auch Textautor zahlreicher Berglieder.

Damit hatte die Gesangsabteilung nicht nur unter den sächsischen Bergsteigern ihren Ruf begründet, sondern sich auch unter den Dresdner Chören und Gesangsvereinen große Geltung verschafft. Schon rein äußerlich waren die Bergsteigersänger mit Lederhosen und weißen Strümpfen eine Sensation gegenüber traditionellen Vereinen, deren Sänger den Gehrock bevorzugten.

1933-1947

Die Zeit nach 1933 bestimmte dann auch von außen her Struktur und Substanz der sich einst freiwillig zusammengeschlossenen Bergsteiger-Sänger. Die den Bergsteigern innewohnende freiheitliche Gesinnung stieß bald an Grenzen, die unüberbrückbar waren. Der Zusammenschluss des SBB mit dem Deutschen Alpenverein (DAV) und damit auch der Gesangsabteilung wurde zur Bedingung für die weitere Existenz. 1938 wurde der SBB Zweig des DAV. Da die Bezeichnung „Gesangsabteilung des DAV Zweig Sächsischer Bergsteigerbund“ zu umständlich war, wurde daraus bald „Bergsteigerchor Dresden“. Trotz Kriegsausbruch 1939 und sinkender Mitgliederstärke wurden die Chorarbeit und die Veranstaltungen des SBB fortgesetzt. Im Herbst 1943 gab der Bergsteigerchor sein letztes Konzert vor dem Zusammenbruch. Mit dem Ende des 3. Reiches 1945 wurde auf der Grundlage der Kontrollratsgesetze jegliche Vereinsarbeit verboten.

Der Bergsteigerchor Dresden, hervorgegangen aus der „Gesa“ des SBB, hatte damit aufgehört zu existieren.

1947-1990

Nach dem politischen Umbruch 1945 bestanden für die ehemaligen Mitglieder des Bergsteigerchores keine günstigen Bedingungen, da das totalitäre Gesellschaftssystem – wie auch in anderen Bereichen – versuchte, jeglichem Gemeinschaftswillen sein politisches Vorzeichen aufzudrücken. Zudem sahen auch politisch Andersdenkende der ehemaligen Vereinigten Kletterabteilung ihre Zeit für gekommen, die Tradition eines Bergsteigerchores in Dresden nur noch unter ihrem Stern fortzusetzen bzw. aufgehen zu lassen. Der Versuch, auf Vorschlag der früheren Gesangsabteilung der Naturfreunde-Opposition (VKA), die während des Dritten Reiches verboten war, alle Bergsteiger-Sänger in einem Chor zusammenzufassen, war deshalb schon zum Scheitern verurteilt.

Die Suche nach einem eigenen Weg war die einzig mögliche Lösung aus dieser Konfliktsituation. Eine Möglichkeit dazu bot sich, indem bei der sowjetischen Militäradministration der Chor als Kletter-Club angemeldet wurde. Der Name „Bergfinken“ stellte die Verbindung zwischen Singen und den Bergen her. Mit der 1947 erfolgten Anmeldung als „Männerchor Dresden-Mitte (Bergfinken)“ wurde das zweite Leben des einstigen Bergsteigerchores Dresden unter neuem Namen geboren. In den folgenden Jahren wuchs die Mitgliederzahl beachtlich. Jährlich wurden Frühjahrs- und Herbstkonzerte veranstaltet, die zwei- bis dreimal wiederholt werden konnten. Der Werbeslogan „Bergfinken singen“ ist seit dieser Zeit ein feststehender Begriff. Ein Konzert zu Ehren des Komponisten Franz Schubert wurde siebenmal aufgeführt. Zu den Standardveranstaltungen gehörte in Fortsetzung der alten Tradition aus der Zeit des SBB das jährliche Offene Singen im Großen Dom der Sächsischen Schweiz.

1952 hatte der Chor eine Mitgliederzahl von 145 erreicht. In dieser Zeit wurden die bestehenden Volkskunst- und Kulturgruppen Großbetrieben angeschlossen. Die Bergfinken gehörten dem Treuhandbetrieb Ihagee-Kamerawerke AG i.V. Dresden an.

Den ersten größeren Auftritt außerhalb Dresdens hatte der Chor im Januar 1957, als er auf Einladung der Deutschen Himalaja-Stiftung nach München reisen durfte. Etwa 100 ausgewählte Sänger konnten während des Vortrages von George Band, dem Erstbesteiger des Kangchenzöngas, auftreten. „Die Bergfinken sangen zu dieser Veranstaltung ihre Berglieder. Das internationale und Münchner Publikum spendete spontan Beifall. Die Leistungen der Bergfinken wurden sehr anerkennend gewürdigt. Mit diesem Auftreten in München haben die Bergfinken zum gesamtdeutschen Kulturaustausch einen begrüßenswerten Beitrag geleistet.“ (SNN 25. 1. 1957)

Der letzte Probeabend des Jahres 1961 brachte für den Chor einen gravierenden Einschnitt. Der langjährige Chorleiter Kurt Kämpfe trat plötzlich zurück. Als Chorpädagoge der besonderen Art hatte er es verstanden dem Chor sein unverwechselbares Gepräge zu geben. Kämpfe hätte einen würdevolleren Abschied verdient.

Singen im Großen Dom 1962 mit Wolfgang Wehmann

Seit 1962 steht der Chor unter der künstlerischen Leitung von Wolfgang Wehmann, der mit seiner Handschrift das Profil des Chores prägt. In der Auseinandersetzung mit dem Erbe und der von Kurt Kämpfe vorgegebenen Orientierung des Bergliedes gelang ihm in glücklicher Ambivalenz die Pflege übernommener Literatur und die Neuschöpfung zeitgemäßer Titel mit eigener künstlerischen Note. „Sonnenspruch“ und „Regenlied“, „Bergfinkenjodler“ und „Elbsandsteingebirge“ gehören neben einer Reihe anderer Schöpfungen zum ständigen und gern gehörten Repertoire des Chores. Bei Veranstaltungen im Dresdner Kulturpalast traten die Bergfinken als Mitwirkende bisher 75mal vor etwa 180.000 Zuhörern auf.

Der Treuhandbetrieb Ihagee-Kamerawerke wurde 1969 mit dem VEB Kombinat Pentacon vereinigt. Damit war der Chor eine Volkskunstgruppe des Pentacon-Ensembles Dresden, dem weitere Gruppen wie Kabarett, Puppentheater, Gesangssolisten. Studiotechnik u.a. angehörten. Das volkskünstlerische Schaffen, das sich nach den kulturpolitischen Auflagen und Zielen dieser Zeit auszurichten hatte und danach beurteilt wurde, war auch von den Bergfinken nicht nur mit eigenen „Varianten“ zu umgehen. Ohne direkte Anpassung, die eigenen Ideale und Ziele bewahrend und zu vernünftiger Kooperation aufgeschlossen, waren Zugeständnisse und Mitwirkung bei betrieblichen Feiern, staatlichen und gesellschaftlichen Jubiläen selbstverständlich. Mit entsprechender Nachweisführung und Berichterstattung erhielten die Bergfinken mehrfach die Auszeichnungen „Hervorragendes Volskunst-Kollektiv“. Parallel dazu stattfindende Leistungsvergleiche bestätigten dem Chor nach Einschätzung der Kulturabteilung des Stadtbezirkes die Einstufung „Oberstufe/gut“.

Zu einem noch heute „denkwürdigen“ Auftritt kam es im Februar 1980. Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der unrühmlich-berüchtigten Staatssicherheit der DDR wurden die Bergfinken zusammen mit dem Bergsteigerchor Sebnitz aufgefordert, bei einer Festveranstaltung im Palast der Republik in Berlin mitzuwirken. Während einige Sänger aus Überzeugung eine Teilnahme verweigerten, war die Mehrheit der Meinung, dass dieser Auftritt dem Chor zuliebe war genommen werden sollte. Wer weiß denn heute genau, ob eine generelle Ablehnung nicht das Aus für die Bergfinken bedeutet hätte?

Überhaupt hatten die Bergfinken in all den Jahren des DDR-Regimes bestimmte Auflagen zu erfüllen. Beispielsweise bedurften die Programmfolgen der Konzerte immer einer Genehmigung. (Das Weihnachtskonzert 1985 wurde erst genehmigt, nachdem der Titel „Winter in den Bergen“ in „Wir wollen Frieden“ geändert war.)

Aufschlussreich auch ein Schreiben von 1963, in dem der damalige Stadtrat für Kultur den gesamten Programmentwurf in schafer Form kritisiert, dem Chor Weltabgewandtheit vorwirft und den Bergsteigerchor „Kurt Schlosser“ mit seiner sozialistisch orientierten Kulturarbeit als leuchtendes Beispiel nennt. Die immerwährende Rivalität zum „Schlosserchor“ war in all den Jahren ganz einfach durch die politische Situation geprägt. Während dieser immer als Aushängeschild des roten Regimes galt und demzufolge auch entsprechend gefördert wurde, sind die Bergfinken heute noch stolz darauf, sich immer „allein ernährt zu haben“.

Ab 1990

1990 löste sich zwangsläufig die Chorträgerschaft im Pentacon-Ensemble Dresden mit den gesellschaftlich-politischen Veränderungen auf.

Am 24.11.1990 erfolgte die Aufnahme des Chores in den wiedergegründeten Sächsischen Bergsteigerbund und seit dem 27.12.1995 ist der Chor als eingetragener Verein registriert.

Der Chor hat derzeit eine Stärke von 85 aktiven Sängern und ist nach wie vor ein reiner Männerchor. Die Mitglieder stammen vorwiegend aus Wander- und Bergsteigerkreisen der Stadt Dresden und Umgebung. Dadurch konnte der Chor seine Natürlichkeit und Überzeugungskraft erhalten. Die Alterszusammensetzung geht von 16 bis 80 Jahren wobei das Durchschnittsalter um 56 Jahre schwankt. Wolfgang Wehmann hat als langjähriger künstlerischer Leiter mit zahlreichen Kompositionen und eigenen Texten und über hundert Liedbearbeitungen wesentlich zur Profilierung des Chores beigetragen. Der Chor verfügt derzeit über ein Repertoire von ca. 200 Liedern, die meist vierstimmig und a cappella aufgeführt werden. Die Titel reichen von Werken Heinrich Schütz über Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Weber und Wagner bis hin zu in- und ausländischen Volksliedern, wobei die Berglieder, besonders die der sächsischen Heimat, den Hauptteil ausmachen.

Der jährliche Veranstaltungskalender reicht von eigenen Konzerten über „Offene Singen“ in der Bergheimat bis zu Treffen mit Chören aus anderen Bundesländern oder dem Trientiner Bergsteigerchor SOSAT. Die Bergfinken treten auch in Veranstaltungen mit Unterhaltungscharakter auf.

Für die jährliche Bergsteiger-Totenehrung am Gedenkstein auf dem Gipfel der Hohen Liebe und die Feier der Wintersonnenwende in der Sächsischen Schweiz schufen sich die Bergfinken ein eigenes Liederrepertoire, welches den Anlässen entspricht.

1995 konnten die Bergfinken mit ihrem Dresdner Stammpublikum das 75-jährige Chorjubiläum feiern. Zu diesem Anlass erschien eine Broschüre, die neben der Chorchronik auch über die bergsteigerischen Aktivitäten einzelnen Chormitglieder berichtet und die im Chor vertretenen Klubs nennt.

Mit Erfolg wurden die Tonträger „Bergfinken singen, „Pulverschnee und Gipfelwind“ sowie „Lasst uns wandern“ herausgegeben.